Hervorgerufen durch zahlreiche "TV-Events" und "Blockbuster" ist es in den letzten Jahren Mode geworden, vor allem dem Widerstand von Mitgliedern der Reichswehr unter dem Stichwort "20. Juli" zu gedenken. Dabei wird meistens ausgeblendet, dass es sich bei den Verschwörern um eine reaktionäre Truppe handelte, die eine autoritäre Militärdiktatur errichten und den Krieg fortsetzen wollte; ein demokratisches System wäre Stauffenberg und Co. nicht in den Sinn gekommen. Dass es Widerstandskämpfer gab, die sich der Diktatur von Beginn an entgegenstellten und nicht erst, als die militärische Niederlage drohte, wird dabei gerne vergessen. Ein solcher Mann war Julius Leber. Der Sozialdemokrat war von 1924 bis 1933 Reichstagsabgeordneter. In der Nacht nach der Machtergreifung, am 1. Februar 1933, stach sein Reichsbanner-Wachmann einen SA-Sturmmann nieder. Leber wurde als "geistiger Urheber" der Tat unter Missachtung seiner Immunität zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Doch auch nach der Strafe wurde er von 1935 bis 1937 in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen festgehalten. Nach seiner Freilassung konnte Leber in der Kohlenhandlung B. Meyer und Co., in die sich seine Frau eingekauft hatte, arbeiten. Die Baracken, die heute noch in der Torgauer Straße zu sehen sind, dienten ihm als konspirativer Treffpunkt mit Mitgliedern des Widerstands, unter ihnen der Kraisauer Kreis oder die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation. So hatte er auch Kontakte zu dem Verschwörerkreis um Stauffenberg, in dessen Plänen für die Zeit nach dem Umsturz er als Innenminister vorgesehen war, Graf von der Schulenburg sah ihn sogar als Reichskanzler. Der spätere erste Bundespräsident Theodor Heuss war ebenfalls Gast bei Juilus Leber und schrieb in seinen Memoiren: "Die zwei kleinen Zimmer in dem fragwürdigen Häuschen, nahe dem Bahnhof Schöneberg, zwischen den Kohlebergen der Firma B. Meyer & Co. war eine rechte Verschwörerbude. Manchmal klingelte es an der äußeren Tür, und Leber musste dann wohl in den vorderen Raum, um einen Kunden zu vertrösten. Aber in der Hinterstube, auf verhockten Sesseln, hatte die politische Leidenschaft ihre Herberge, verachtender Hass und brennende Liebe." Bereits am 5. Juli 1944 wurde Leber von der Gestapo verhaftet und nach einem Schauprozess am Volksgerichtshof am 5. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet.
Auf den historischen Ort in der Torgauer Straße 24-26 findet sich bislang kein Hinweis; das Gelände der ehemaligen Kohlenhandlung, die bis in die siebziger Jahre bestand, wird heute von einem Autohändler genutzt. Geplant ist hier, einen Grünstreifen im Rahmen der "Schöneberger Schleife" anzulegen. Auf die Idee, einen Gedenkort einzurichten, eventuell dafür die Baracken zu erhalten und in die Anlage zu integrieren für Ausstellungen über den Widerstand, scheint noch niemand - bedauerlicherweise nicht einmal die SPD - gekommen zu sein. Der gerade eröffnete Geschichtsparcours Papestraße zeigt, wie man mit historischen Orten umgehen kann. Zumindest aber eine Gedenktafel sollte zukünftig im neuen Park zu sehen sein um so Julius Leber zu gedenken.
Die BVV-Tempelhof-Schöneberg hat im Sommer 2009 einen Antrag beschlossen, mit dem das Bezirksamt aufgefordert wird, im Zuge der Umgestaltung der Torgauer Straße eine Gedenktafel bzw. einen Gedenkort einzurichten. Gegenwärtig prüft das Bezirksamt, wie genau das Gedenken an der ehemaligen Kohlenhandlung aussehen kann. Damit wird dann endlich neben der Tafel auf der Julius-Leber-Brücke auch an der unmittelbaren Wirkungsstätte an den sozialdemokratischen Widerstandskämpfer erinnert.
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis - erfreuliche Nachricht!
AntwortenLöschenIch freue mich, dass hinsichtlich einer absolut verdienten Würdigung Julius Lebers etwas getan wird, wie auch Deinem jüngsten Bericht vom Freitag, 11. September 2009 hier zu entnehmen ist!
AntwortenLöschenÜber Claus Schenk Graf von Stauffenberg kann ich allerdings nicht zu einem ganz so - ich will mal sagen - vernichtenden Endergebnis kommen:
Außer, dass er sich immerhin zum Attentat auf Hitler entschlossen hatte, war er auch stets ein glühender Verehrer Stefan Georges, der mich ebenfalls seit meiner Jugend schon begeistert hält.
Stefan George war homosexuell, was Stauffenberg nun überhaupt nicht entgangen sein kann ... Also alles sehr diffus, und sicher ein sehr geeigneter Stoff für einen inneren Konflikt, den Stauffenberg, wohl lange Zeit mit sich auszutragen hatte. Und ob Stauffenberg wirklich gegen Demokratie gewesen wäre?
... Who can say?
Hallo Nobbi,
AntwortenLöschenich möchte kein vernichtendes Urteil fällen, sondern Stauffenberg differenziert betrachten - also auch nicht glorifizieren. Der George-Kreis und der "Dichterfürst" selber sind dabei nicht unbedingt als Alibi zu betrachten, schließlich haben die Nazis versucht, ihn zu vereinnahmen. Wiederum hat er sich dieser Vereinnahmung geschickt entzogen.
Zudem stellt sich die Frage, woher in der Wehrmacht (nicht nur bei Stauffenberg) Interesse und der Wille zu Demokratie herkommen sollten. Gewiss nicht aus der Tradition des Vereins!
Die Einordnung Stauffenbergs ist historisch unhaltbar. Stauffenberg verband mit Leber schließlich eine Freundschaft, auch Stauffenberg wollte Leber als Reichskanzler, was partout ausschliesst, dass Stauffenberg eine Militärdiktatur anstrebte. Stauffenbergs Sicht auf die SPD in der Weimarer Republik wurde, nicht zuletzt durch Leber veranlasst, durchaus wohlwollend. Es ist als sicher anzunehmen, dass auch Stauffenberg in der Kohlenhandlung (die hoffentlich erhalten bleibt!) zu Besuch war.
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