Dienstag, 10. November 2015

Fahrradschnellweg nach Zehlendorf? Ja, aber nicht so. Ein Gegenvorschlag


Gelungener Schnellweg: umgebaute Torgauer Straße
Seit einigen Wochen geistert eine Idee durch die Medien und die BVV, die für einigen Wirbel gesorgt und sogar die Bahn aufgeweckt hat – und das will etwas heißen. 

Um was geht es? Auf dem Euref-Gelände sitzt eine Institution namens „Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, kurz InnoZ, die laut Selbstauskunft den Verkehr der Zukunft erforscht. Dieses InnoZ schlägt nun vor, einen Fahrradschnellweg, Pardon: Fahrradhighway (überwiegend im Graben!), zwischen Potsdamer Platz und Zehlendorf oder sogar Potsdam auf der teilweise stillgelegten Stammbahn zu bauen. Aber nur, bis eines Tages wieder Züge rollen, denn wenn die Bahn es will, dann müsste wieder alles zurückgebaut werden.

Immerhin scheint es die InnoZ zu verstehen, Aufmerksamkeit zu wecken. Erst etwas versteckt in der Tempelhof-Schöneberger BVV nahm sich die SPD der Idee an, kurz darauf die Zehlendorfer CDU, die gleich einen großen Pressetermin mit ihrem Vorsitzenden und Justizsenator Heilmann veranstaltete. Seitdem ist das Thema auf dem Tisch und auch in den Medien präsent und wird heiß diskutiert. Sogar die Bahn tritt auf den unausgereiften Plan, um diesen zu verhindern, und zeigt plötzliches Interesse an einer Reaktivierung der Stammbahn. Muss sie auch, sonst drohen Rückzahlungen in Millionenhöhe für die Bauvorleistungen am Nord-Süd-Tunnel für die geplante Einfädelung.

Doch was ist dran an dem Plan? Zunächst einmal kann man das Engagement der Bezirksparteien getrost als Vor-Wahlkampfgerede abtun. Vor jeder Wahl werden Verbesserungen für den Fahrradverkehr in Schöneberg versprochen, und selbst eine rot-grüne Mehrheit bekommt in den folgenden fünf Jahren so gut wie nichts gebacken. Weder wird ein einfaches Gitter versetzt, 200 Meterfehlender Asphalt am Ausgang des Baluschek-Parks gegossen oder eine vernünftige Wegeführung zwischen Cheruskerstraße und Kolonnenstraße umgesetzt. Und man kann darauf wetten, dass auch die Verbindung über die Monumentenbrücke in den Flaschenhalspark bei Eröffnung des fehlenden Stücks Nord-Süd-Weges nicht umgesetzt sein wird. Dabei sein mit seiner Schere zum Bänderdurchschneiden wird aber wieder Stadtrat Krüger, der jüngst sein herzlichstes Desinteresse am Radverkehr bekundet hat. Der Fahr-Rat fungiert seit Jahren lediglich als Feigenblatt, es ist ziemlich undurchsichtig, wer dort eigentlich wirkt, und seine rührigen Pläne versacken in den Untiefen der Tempelhof-Schöneberger Politik ohne eine wirklich realistische Chance auf Realisierung. Warum sich die Mitglieder des Fahr-Rats diese Vorführung seit Jahren gefallen lassen, ist ein Rätsel. Und die Fahrradpolitik des Senats – darüber breitet man auch lieber den Mantel des Schweigens.
Fehlende Brücke über Rubensstraße, rechts Rampe denkbar

Der InnoZ-Plan selber wirkt absolut unausgereift. Nicht einmal fünf Millionen Euro Kosten, die genannt werden, dürften selbst ansatzweise nicht realistisch sein, es gibt keine Fahrradwege, wie suggeriert wird, zwischen Potsdamer Platz und Gleisdreieckpark, es gibt keine direkte Verbindung über den Landwehrkanal, die angeblich fertiggestellten Wege im Gleisdreieckpark existieren teilweise nicht, die angeblich im Bau befindlichen Wege im Wannseebahngraben sind mehr denn je in Frage gestellt, hier wurde erst gerade ein Baustopp verhängt. Zudem werden die tatsächlich existierenden Wege auch von Fußgängern, Skatern etc. genutzt, von einem „Fahrradschnellweg“ kann hier sowieso keine Rede sein. Die Bahnbrücken über die Rubensstraße wurden erst jüngst samt Widerlagern abgerissen und Auf- bzw. Abfahrten entlang der Strecke wären nur äußerst umständlich (und kostenintensiv) herzustellen. Nur in einem Nebensatz wird erwähnt, dass ab Lichterfelde die Bahnstrecke noch in Betrieb für Güterverkehr ist und schon daher kaum nutzbar sein dürfte.

Und: Berlin wächst und der öffentliche Nahverkehr muss mitwachsen. Vielleicht erkennen dies allmählich auch der Senat und die Bahn, einzelne Signale kann man so ganz vorsichtig deuten. Jedenfalls wäre der Fahrradschnellweg nicht von Dauer – oder die Bahn müsste auf eine wichtige und traditionsreiche Strecke in der Zukunft verzichten.

Was wären die Alternativen? Der Radverkehr darf nicht gegen den ÖPNV und auch nicht gegen die Fußgänger ausgespielt werden, wie dies zurzeit geschieht, indem beide letztgenannte Gruppen auf schmale Wege geschickt werden und die Straßen so von Zweirädern zugunsten des Autoverkehrs entlastet werden. So wünschenswert „Fahrradschnellwege“ nur für diese Gruppe wären – auf diesem Abschnitt ist ein solcher einfach Unsinn. Vergleiche mit anderen Städten hinken: Die Schnellwege, beispielsweise in Kopenhagen, verlaufen teilweise über unbebautes Land und Felder oder auf tatsächlich aufgegebenen Bahnstrecken.

Torgauer ohne Fahrradstraße
Dabei gibt es andere Möglichkeiten für eine schnelle Verbindung nach Steglitz und nach Zehlendorf.

Der Nord-Süd-Grünzug wird bald vollendet sein bis zum Südkreuz und läuft auch unter dem Namen „Fahrradweg Berlin-Leipzig“. Ein Teil der Torgauer Straße wurde umgebaut und mustergültig aufgeteilt, hier funktioniert das Nebeneinander von Fahrrad und anderen Gruppen hervorragend – endet aber leider auf einer Kopfsteinpiste. Eine Verbindung der beiden Abschnitte könnte durch einen Umbau der verbliebenen Torgauer Straße als Fahrradstraße einfach hergestellt werden. Diese Idee gab es bereits in den ursprünglichen Plänen für die „Schöneberger Schleife“, wurde später jedoch still und heimlich unter den Teppich gekehrt. Ohne diese Maßnahme wäre die „Schleife“ sowieso keine, ist also unabdingbar. Wobei eine Fahrradstraße gemeint ist, die diesen Namen auch verdient, und nicht einfach durch Schilder ausgewiesen wird, über die Autofahrer herzlich lachen. Der Weg muss bis zur Dominicusstraße vollendet werden, hier hakt es mal wieder an Euref-Müller und seinen Interpretationen gültiger Verträge sowie dem Berliner Politikfilz. Kurz zusammengefasst: Müller weigert sich, seinen Beitrag zur neuen Erschließungsstraße auf sein Gelände zu leisten und spannt seine Amigos des Berliner Politikbetriebs ein, um seinen Willen gegen Stadträtin Klotz durchzusetzen – dadurch wird auch der restliche Umbau der Torgauer Straße verhindert.
Torgauer zum Sachsendamm: Umbau durch Euref verhindert
Stillgelegtes Gleis über Stadtautobahn
Zurück zum Thema: Weiter ginge es mit einem neuen und sicheren Übergang über die Dominicusstraße bzw. den Sachsendamm. Eine neue Überlegung, die ich hier in den Ring werfe, ist ein Radweg durch den Werdauer Weg. Hier liegen tatsächlich Bahngleise, die nie wieder gebraucht werden und Platz böten für eine Streckenführung über die Autobahn bis zur Rubensstraße, zu der eine Rampe gebaut werden müsste, für die der Platz aber vorhanden ist. Ganz nebenbei könnte das Industriegelände am Werdauer Weg hierdurch aufgewertet werden, worüber es schon seit Jahren Überlegungen gibt. Weiter könnte es parallel und östlich zur Autobahn über die Rembrandtstraße und Körnerstraße bis zur Feuerbachbrücke gehen, die ebenfalls zu Fahrradstraßen umgebaut werden müssten, teilweise schon Sackgassen für Autos sind und nur durch Kopfsteinpflaster teilweise etwas unangenehm zu befahren sind. Weiter ginge es auf der westlichen Seite von Autobahn und Gleisen über  Alsen- und Düppelstraße bis zum Rathaus Steglitz – ebenfalls als Fahrradstraßen! Eine Sperrung für Autos auf Strecken parallel zur Autobahn dürften wohl vermittel- und durchsetzbar sein. Auch durch Lichterfelde ließen sich Wege finden und zwischen Dahlemer Weg und dem Bahnhof Zehlendorf existieren bereits öffentliche Grünwege und Rampenbauwerke entlang der S-Bahn, die ziemlich einfach zu bequemen Radwegen ausgebaut werden könnten. Diese werden in den bislang vorgestellten Konzepten übrigens vollständig verschwiegen. Eine weitere Maßnahme wären bessere Ampelphasen für die Radler und Schaffung von „Grünen Wellen“ entlang der Strecke. Statt 18 Rampen wie im InnoZ-Papier wäre nur eine Rampe notwendig, statt fünf Brückensanierungen und eines eventuellen Neubaus über die Rubensstraße wäre hier vermutlich eine Sanierung für die Querung über die Autobahn notwendig. Welche Alternative kostengünstiger ist, ist nicht schwer zu erraten. Welche Alternative nachhaltiger ist, auch nicht.

Man sieht: Mit etwas Phantasie lässt sich etwas tun, ohne viel Geld, sowohl für den Bahnverkehr als auch für die Radfahrer. Beide Verkehrsträger müssen gestärkt werden für eine lebenswerte Stadt und dürfen nicht in künstlicher Konkurrenz gegeneinander ausgespielt werden von Parteien, die immer noch in den Konzepten der 60er-Jahre feststecken und unsere Stadt mit Autobahnen weiterhin zubetonieren.


Quelle: Google Earth
Quelle: Google Eartth
Quelle: Google Earth
Quelle: Google Earth

4 Kommentare:

  1. Da hat sich aber jemand sehr viel Gedanken und Mühe gemacht. Respekt. Da können wir Allwetterradler nur hoffen, dass der Senat aus dem ewigen Stückwerk auch mal ein Gesamtkonzept macht.

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  2. Ja, da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht, dabei aber übersehen, das zumindest der Radweg durch den Wannseegraben zwischen Yorckstraße und Torgauer Straße so nicht erstellt werden kann. Das Projekt Schöneberger Schleife ist auf Grund der geplanten Wiederinbetriebnahme der Stammbahn mittlerweile gestorben, nach alternativen Radwegführungen wird noch gesucht. Lesen Sie dazu zum Beispiel hier: https://stopptdenkiezverkauf.wordpress.com/2015/11/25/bebauungsplan-7-69-in-der-beteiligung-der-traeger-oeffenlicher-belange/
    Liebe Grüße, Hans-Georg

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    1. Hm, verstehe diesen Kommentar von Hans-Georg nicht. Textbauer beschreibt doch gerade eine Alternative zu diesem Radweg durch den Wannseegraben...

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  3. Hallo Anonym.
    Im zweiten Bild von oben sieht man noch (rot, nicht im Bau) die ursprüngliche Planung der Schöneberger Schleife durch den Wnnseegraben zwischen Yorckbrücken und Torgauer Straße. Diese Planung ist hinfällig. Hier sind Alternativen zu finden ähnlich denen, die Textbauer für den weiteren Verlauf beschreibt.
    Das wird kompliziert, müsste doch der Weg über bestehendes Straßenland gebaut werden, etwa durch teilweisen Umbau/ Umwidmung von Crelle-, Czeminski- und Cheruskerstraße zur Fahrradstraße. Bei einer solchen Wegführung fielen viele Parkplätze weg, ich höre schon den Aufschrei der Automobilisten, außerde müsste die Langenscheidtbrücke fahradgerecht verändert und die Kreuzung Czeminski-, Leber- und Kolonnenstraße gequert werden. Eine Wegführung durch den Cheruskerpark sehe ich nicht, hier käme es unweigerlich zu Konflikten mit den vielen Parkbesuchern.
    Alles in allem ein komplexes Problem.
    LG, Hans-Georg

    P.S. Warum anonym?

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