Donnerstag, 23. Januar 2014

Coole Künstler, böse Bürger - Nazi-Vergleich beim Bezirksamt

Stein des Anstoßes
Kennen Sie Lou Favorite? Nein? Müssen Sie auch nicht unbedingt. Lou Favorite ist Künstler. Und Lou Favorite ist sauer. Richtig sauer. Sauer auf die Ignoranten, die ein Kunstwerk, das er zusammen mit fünf anderen preisgekrönt hat, nicht zu würdigen wissen. Lou Favorite hat zur Feder gegriffen und einen Text verfasst, in dem er auf diese Ignoranten eindrischt. Den Text hat er natürlich mit bildungsbürgerlichen Einsprengseln versehen. Und am Ende des Textes beschreibt Lou Favorite einen schnauzbärtigen Mann, der moderne Kunst in München zusammentragen ließ, um sie anschließend zu verbieten.
Lou Favorite zieht also einen direkte Linie von den Kritikern des Kunstwerkes, das er preisgekrönt hat, zu Adolf Hitler. Nun könnte man mit den Schultern zucken, die Augenbraue hochziehen und denken, Lou Favorite ist halt ein wenig verwirrt, will provozieren, wie es Künstler gerne tun, oder einfach nur unfassbar - aus juristischen Gründen beende ich diesen Satz nicht.

Allerdings findet sich dieser Text in einer kleinen Broschüre wieder, herausgegeben vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg: "Denkzeichen Kohlenhandlung Julius und Annedore Leber - Dokumentation des preisgekrönten Entwurfs ‚Windfang‘ von Katharina Karrenberg."

Es geht also um die Rednertribüne und die Steckdosenleiste, die von einer "unabhängigen Jury", wie mehrmals in der Broschüre betont wird, als bester Entwurf ausgewählt wurde, um die Baracke in der Torgauer Straße zu ersetzen, die an dem Ort steht, an dem Julius Leber Widerstand organisiert hat, an dem er verhaftet wurde und an dem Annedore Leber nach dem Krieg noch bis 1968 gewirkt hat.
Dem Bezirksamt ist es gelungen, ein Pamphlet zu verfassen, das in seiner Unausgewogenheit auch vor 25 Jahren in der DDR hätte erscheinen können. Gegner des Entwurfs werden nur in Satzfetzen zitiert, die sofort in der Luft zerrissen werden, Fakten werden verfälscht dargestellt (so wird mehrfach die Idee Frau Karrenbergs gelobt, die Mauern abzutragen - dabei war genau dies Wettbewerbsbedingung). Es werden acht Gästebucheinträge der Ausstellung zitiert, die 2012 in einer dunklen Ecke des Rathauses Schöneberg verdruckst die Entwürfe präsentierte. Von diesen acht äußern sich sieben positiv, einer negativ. Ich hatte auch in das Gästebuch geschaut und einen Eintrag hinterlassen. Und ich kann sagen: Das Verhältnis der negativen zu den positiven Stimmen war eher umgekehrt. Zudem stellt sich die Frage, warum sich die Autoren der Broschüre so aufregen, wenn das Echo doch so positiv war? Lou Favorite ärgert sich, dass die Gegner von der "Authentizität" des Ortes sprechen, obwohl ja nichts mehr authentisch wäre. Dass genau dieser Begriff in der Wettbewerbsbeschreibung verwendet wurde, ficht ihn nicht an. Vielleicht hat er diese ja auch gar nicht gelesen oder wieder vergessen. Und zum Schluss wird noch die gute alte Faschismuskeule geschwungen.

Interessant wird es, wenn man im Protokoll der Preisgerichtssitzung liest: Dort werden die "Attraktivität, Eleganz und Ästhetik" des Entwurfs hervorgehoben. Einwände, dass das Werk an eine Rednertribüne erinnere, obwohl die Arbeit von Leber im Untergrund erfolgte, in dem er natürlich einem Redeverbot unterlag, wurden abgewiegelt. Zudem werden "die Integration des Themas ‚Energie‘ in den Entwurf und der Hinweis auf den Nationalsozialismus positiv bewertet." Ah ja, das ganze sieht also hübsch aus, irgendwo kommt das Thema Nationalsozialismus vor und Energie kommt heute auch gut an. Und es kostet nicht viel. Also machen wir es!

Die Broschüre, der Umgang mit dem Thema im Bezirk und nicht zuletzt der Beitrag von Lou Favorite, der unwidersprochen abgedruckt wurde, zeigen, dass sowohl das Preisgericht als auch das Bezirksamt mit der Thematik schlicht überfordert waren und sind. Um einen überzeugenden Entwurf zu schaffen, bedarf es etwas mehr, als einer willkürlichen, schön azuschauenden Rednertribüne aus Weißbeton. Es bedarf einer kompetenten Jury, eines offenen Verfahrens. Dann können auch überzeugende Kunstprojekte entstehen, wie im Bayerischen Viertel, das in der Broschüre Erwähnung findet, oder auch das Stolperstein-Projekt.

Das Vorwort stammt übrigens von Jutta Kaddatz. Frau Kaddatz widerspricht auch nicht Lou Favorite und Frau Kaddatz hofft darauf, "die begonnene Diskussion konstruktiv weiterzuführen." Frau Kaddatz ist Stadträtin für Volksbildung.

PS: Die Baracke bleibt stehen und wird eingezäunt bis zu einer Lösung. Der Grünzug wird darum herum gebaut.

3 Kommentare:

  1. Wie wärs (auch künstlerisch): Die Baracke einfach behütet stehen lassen.

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  2. Oh lou, da hat dich deine aufgesetzte intellektualität rechts überholt

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  3. "Der Grünzug wird drum herum gebaut". Schön wär's. Eigentlich wird da gar nichts mehr gemacht: Nachdem die Fliederbüsche und das übrige Grün zusammen mit den Werkstätten plattgemacht wurden, ruht die eingezäunte Brache. Als wollte sie den Protestlern sagen: "Ihr habt es ja nicht anders gewollt. Nun habt ihr alles alles durcheinander gebracht, und wir können nicht weiterbauen." Dabei spräche wirklich nichts dagegen, mit den Arbeiten fortzufahren und die kleine Baracke einfach stehen zu lassen. So, wie beim Bau des Potsdamer Platzes mit dem Weinhaus Huth verfahren wurde, das ja ursprünglich auch abgerissen werden sollte. Ein Vorhaben, das am hartnäckigen Widerstand der Besitzerin und der Mietergemeinschaft scheiterte: Man musste den Potseplatz um das Häuschen herum bauen ;)

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